Am 21. Mai stimmen wir über das neue Energiegesetz ab, dessen Erarbeitung 2011 nach dem Nuklearunfall in Fukushima begonnen wurde. Doch die Vorlage ist weit mehr als ein Atomausstiegsgesetz. Denn sie stellt einige wichtige Weichen für unsere energetische Zukunft.
von Gastautor Walter Steinmann, Direktor Bundesamt für Energie 2001 – 2016
Wenige Tage nach der Katastrophe von Fukushima beauftragte der Bundesrat das Bundesamt für Energie, mit Hilfe der bewährten Szenarien-Modellrechnungen aufzuzeigen, ob eine Energieversorgung in der Schweiz auch ohne neue Kernkraftwerke möglich sei. In einer Parforceleistung wurden die Modelle aufdatiert und nach acht Wochen konnten wir berichten: Ja, es ist ambitiös, aber technisch sowie wirtschaftlich machbar. Seither haben Studien der ETH sowie viele weitere Untersuchungen dies bestätigt. Der Umbau des Energiesystems braucht aber Zeit und wir müssen neben klaren politischen Rahmenbedingungen auch Raum für Forschung und Innovationen sowie für Aus- und Weiterbildung schaffen. Weiter konnten wir aufzeigen, dass als erste und wichtigste Domäne die Energieeffizienz im Zentrum stehen muss. Sie senkt nicht nur den Verbrauch und damit die Auslandabhängigkeit, sondern sorgt auch für eine Reduktion der CO2-Emissionen.
Energieeffizienz ist Ziel Nummer 1
Das neue Gesetz nennt Richtwerte für Energie- und Stromverbrauch, welche in den nächsten Jahrzehnten anvisiert werden. Grosse Potentiale liegen bei der Energieeffizienz von Gebäuden sowie bei der Mobilität: Die Mustervorschriften der Kantone im Gebäudebereich orientieren sich neu am Nullenergiehaus, es werden neue Steuerabzüge für energetische Sanierungen sowie Ersatzneubauten eingeführt. Zusätzlich können über das Gebäudeprogramm finanzielle Beiträge für die energetische Sanierung von älteren Häusern anbegehrt werden. Bei der Mobilität sollen für neue Personenwagen und Lieferwagen strengere CO2-Vorschriften gelten, sodass die Motoren immer effizienter werden müssen.
Mehr Planungssicherheit für erneuerbare Energien
Der zweite wesentliche Pfeiler der Energiestrategie ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Wichtig ist dabei nicht primär die finanzielle Förderung, sondern mindestens so relevant sind raumplanerische sowie baupolizeiliche Bewilligungen. Denn aktuell haben beispielsweise 509 Windanlagen eine Zusicherung für die Auszahlung von Fördergeldern, doch sind die Projekte wegen Einsprachen sowie Gerichtsverfahren blockiert. Deshalb will das neue Energiegesetz gleichlange Spiesse schaffen: Beim Genehmigungsprozess derartiger Projekte soll in jedem Einzelfall objektiv und fair zwischen Schutzzielen sowie der Nutzung für die Produktion von erneuerbarer Energie abgewogen werden können.
Mehrkosten von 40 Fr. pro Haushalt und Jahr
Daneben beinhaltet die Vorlage eine Erhöhung des Netzzuschlags von 1,5 Rp./kWh auf 2,3 Rp./kWh, wobei ein schöner Teil dieser Zusatzmittel zur Förderung und zum Erhalt der schweizerischen Wasserkraft eingesetzt wird. Aber diese Förderung wird gleichzeitig auch zeitlich beschränkt. Es geht damit klar nur um eine Anschubfinanzierung und nicht um eine ewig sprudelnde Subventionsquelle. Die direkten Kosten des neuen Gesetzes betragen also 0,8 Rp./kWh oder rund 40 Fr. zusätzlich pro Jahr für einen Haushalt. Die von den Gegnern genannten 200 Mrd. Fr. sind also als Fake News oder “alternative Wahrheiten” anzusehen. Der Umbau unseres Energiesystems wird zwar Geld kosten, doch der Grossteil davon würde auch ohne diesen Umbau anfallen, da die bestehenden Infrastrukturen ohnehin unterhalten oder erneuert werden müssen. Dank der starken Ausrichtung auf die Energieeffizienz müssen künftig aber weniger grosse neue Infrastrukturen finanziert werden, das spart letztlich Geld. Und zudem wird auch die Versorgungssicherheit verbessert.
Wie steht es mit dem 2. Massnahmenpaket?
Ende 2015 hatte der Bundesrat die Klima- und Energielenkungsabgabe (KELS) auf die Reise geschickt. Der bundesrätliche Vorschlag für diese neue Verfassungsnorm wurde jedoch vom Nationalrat bereits abgelehnt und steht auch im Ständerat vor dem Aus. Ist deshalb die Energiestrategie bereits gescheitert? Nein, denn es gibt keinen Zeitdruck. Die Vorlage zum neuen Energiegesetz regelt die Massnahmen in den nächsten Jahren mit einem Zeithorizont bis 2035. Und bereits jetzt diskutieren die parlamentarischen Kommissionen für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) über das weitere Vorgehen zur langfristigen Sicherung der Stromversorgungssicherheit. Im Rahmen dieser Diskussion wird untersucht, ob die inländische Produktion längerfristig ausreichend gesichert ist oder ob neue Marktinstrumente wie Auktionen, Kapazitätsmechanismen oder ein Quotenmodell eingeführt werden soll. Weiter wird der Bundesrat Ende Jahr die Botschaft zur Totalrevision des CO2-Gesetzes verabschieden. Auch diese Vorlage soll massgeblich zur Senkung der CO2-Emissionen und damit des Gesamtenergieverbrauchs beitragen.
Ein breit abgestützter Kompromiss
Fünf Jahre haben Bundesrat, Parlament, Verwaltung sowie Wirtschafts- und Umweltverbände an diesem neuen Gesetz gearbeitet, es gab Themen und Kompromisse, die in der Startphase noch nicht absehbar waren. Das nun zur Abstimmung gelangende Resultat kann sich sehen lassen: Der Gesetzesentwurf stellt wichtige Weichen für die Zukunft, ist wirtschaftlich verträglich und bringt für Staat sowie Gesellschaft keine übermässige Belastung. Deshalb macht ein Ja am 21. Mai Sinn, es hilft mit, unser Energiesystem längerfristig richtig auszurichten.
Die makement Kontextbeiträge wiedergeben persönliche Ansichten der jeweiligen Autoren auf aktuelle, politische Themen. Hier findest du eine Übersicht der Kontextbeiträge.
Das neue Energiegesetz ist nicht nur ein wichtiger Schritt – es ist der Schritt, um das Bewusstsein für eine lebenswerte Zukunft zu schaffen. Nachdem die industrielle Revolution im 18./19. Jahrhundert Nachhaltigkeit und Natur nie im Kalkül hatte, ist es endgültig Zeit, die Richtung zu korrigieren. Und sollte die ganze Energiewende wirklich etwas kosten – was ich (mittelfristig betrachtet) nicht glaube – dann wäre dies nur eine geringe Rückzahlung an all jene Kosten, die wir in den letzten 200 Jahren mit unserer Lebensart und falschen Entwicklungen verursacht haben.
die Zeche bezahlen an schluss die kleinen,
so wie es immer schon war
Mit ‚kalt duschen‘ Schweizer Politik machen?
„Die Wirtschaft und die Wissenschaft werden es richten“ – Befürworter und Gegner der Energiestrategie 2050 benutzen das gleiche Argument. Der Unterschied liegt in der Notwendigkeit einer staatlichen Energiestrategie. Die Befürworter argumentieren, dass es für eine zukunftsfähige Energieversorgung eine solche Strategie braucht und die Wirtschaft sowie die Wissenschaft sich daran ausrichten sollen. Die Gegner behaupten, ein liberaler Energiemarkt mit den heutigen Gesetzen werde es richten. Vier Aspekte, weit weg von den ‚kalt duschen‘ und 40.- bzw. 3‘200.- Franken Argumenten, zeigen den Nutzen des Energiegesetzes, über welches wir am 21. Mai 2017 abstimmen.
Die Sicherstellung einer verlässlichen, wirtschaftsfreundlichen und umweltverträglichen Energieversorgung war, ist und bleibt eine Bundesaufgabe. Gesteigerte Unabhängigkeit, auch in der Energieversorgung, macht die Schweiz weniger verwundbar und stärker in den bilateralen Verhandlungen mit unseren Nachbarn. Bei der Energieversorgung mit Öl, Gas und Kohle, aber auch bei der Stromversorgung, stehen europäische und internationale geopolitische Interessen seit je her im Vordergrund. Die Energiestrategie schafft Klarheit und unterstützt die Schweiz in ihrer aussenpolitischen Tätigkeit.
Wettbewerbsfähige Energiepreise tragen zur Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Schweiz bei. Aber noch wichtiger ist eine robuste Energieversorgung, da Ausfälle oder Lieferengpässe Unternehmen ein Vielfaches kosten würden. Die Energieversorgung ist systemrelevant und der Bund ist folglich für die Versorgungssicherheit verantwortlich. Systemrelevante Infrastrukturen wie die Energieversorgung werden durch den Bund mitfinanziert. Aus diesem Grund verlangen sowohl Befürworter und Gegner direkte oder indirekte Subventionen. Das Energiegesetz bildet eine demokratisch ausgehandelte Grundlage, um eine faire staatliche Einwirkung, auch Subventionen, zu garantieren.
Die Bedürfnisse einer intakten Umwelt, welche ebenfalls ein wichtiger Aspekt für die hohe Standortattraktivität der Schweiz ist, werden in unserem heutigen Wirtschaftssystem (noch) zu wenig berücksichtigt. Der Bund muss diese Aufgabe ebenfalls übernehmen. Überlassen wir die Sicherstellung einer verlässlichen, wirtschaftsfreundlichen und umweltverträglichen Energieversorgung allein der Wirtschaft, werden Umweltinteressen zu wenig berücksichtigt. Mit dem Energiegesetz setzt die Schweiz ausgewogene Leitplanken und Anreize, damit sich die Wirtschaft im Sinn des Gemeinwohls entwickeln kann.
Eine blühende Wissenschaft braucht Freiheit. Die Energiestrategie darf die Wissenschaft nicht einschränken. Darum gibt es keine Technologieverbote für die Forschung. Die Energiestrategie zeigt die Herausforderungen auf, welche die Forschung anpacken muss: Erneuerbare Energie muss Atomkraft ersetzen und Effizienz den Verbrauch halbieren. Die Innovationsfähigkeit der Schweiz hat uns in den letzten 100 Jahren Wohlstand gebracht. Mit unserer heutigen Innovationsfähigkeit werden wir die gestellten Aufgaben in der Energiestrategie mit Bravour lösen und die Schweizer Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität weiterhin hoch halten.